Corinnas Quartier Talk

Corinnas Quartier Talk mit Marcus Richmann

Marcus Richmann, geb. 1965, legt seinen Fokus auf die Erfahrung und lebt sein Leben nach dem Zitat von Samuel Beckett «Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.»

AfdN 04/2024 – Marcus Richmann
Ein Mann mit vielfältigem Spektrum: Marcus Richmann. Bilder: zVg

Er arbeitet seit zehn Jahren in seiner System-Praxis in der Lorraine inmitten eines wilden, kleinen Gartens mit altem Magnolienbaum und berät seine Klient*innen in Lebensfragen. Dass er aber auch ganz andere Dinge tut, davon wissen viele nichts. Und genau diesen Dingen möchten wir auch ein bisschen auf den Zahn fühlen.

Wer oder was führte dich zur Systemischen Heilarbeit?
Meine Kindheit war geprägt von Unbewusstheit und belastenden Erlebnissen. Anfang Dreissig begann ich mit Hilfe der Psychokinesiologie meine Schattenthemen anzuschauen. Durch konstante innere Arbeit änderte Schritt für Schritt mein Lebensfokus. In mir entwickelte sich der Wunsch, Menschen in ihren inneren Prozessen zu begleiten und somit ihrer Bewusstheit mehr Raum zu schenken.

Kannst du erklären, worum es bei dieser Therapie-Arbeit geht?
Konkret läuft eine Sitzung wie folgt ab: Die Klient*innen erhalten nach einer kurzen Entspannungsübung von mir ein «Motiv» – zum Beispiel: «Stellen Sie sich vor, Sie kommen in einer inneren Landschaft an, in der ein Berg zu sehen ist. Dann beschreiben Sie mir die inneren Bilder, die dazu bei Ihnen entstehen» und die «Traumreise» auf den Berg beginnt. Das Innere zeigt mit Hilfe des Motivs die seelisch belastenden Themen, welche bearbeitet werden können, und verkleidet sie in Bilder. Um diese nach der Imagination zu verstehen, werden sie in einer zweiten Sitzung gemeinsam analysiert. Die Imagination ist Bewusstseinsarbeit auf vielen Ebenen.

Nebst deiner Haupttätigkeit als Systemischer Berater schreibst du Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Du hast von 2009 bis 2017 vier psychologische Kriminalromane mit dem russischen Chefermittler Maxim Charkow geschrieben und veröffentlicht. Wie kamst du auf diesen Charakter und hat er mit deinen eigenen Wurzeln zu tun?
Meine Grossmutter mütterlicherseits wurde im damals russischen Georgien geboren. Ich selbst wuchs mit Geschichten über ihre Zeit in Georgien auf. Geschichten von Vertreibung, Flucht und Verlust der Existenz. Mein Verhältnis zu Russ*innen ist somit ambivalent. Trotzdem erlebe ich bei meinen russischen Freunden – es gibt auch kritische und differenzierte Menschen unter ihnen – eine Grundstimmung, die ich mag. Eine leichte Trauer und Melancholie, die ich mag und durch meinen Maxim Charkow gerne erleben lasse.

Du verbindest vorhin genannte Themen mit einem dritten Angebot, der «Strukturaufstellung & Imagination von Geschichten und Story- SYS©». Wie gehst du dabei vor?
Wer von den Leser*innen eine systemische Familienaufstellung erlebt hat, wird besser verstehen können, dass diese Arbeit auch mit fiktiven Figuren, Orten und Themen möglich ist. In einer Geschichte gibt es neben den Figuren weitere Elemente, die in einer Strukturaufstellung Raum bekommen können: zum Beispiel die Leser-/Zuschauerschaft, das Bühnenbild, Gruppen wie die Dorfgemeinschaft oder Polizei etc. Wichtig ist im Vorfeld das exakte Definieren einer oder mehrerer Fragen an die Aufstellung. Für diese Art der Strukturaufstellung fragen mich in der Regel Filmproduktionsfirmen oder Verlage an.

Du wurdest zweimal für namhafte Krimipreise nominiert, der erste Roman der Charkow-Reihe wurde verfilmt und man würdigt deine präzisen Recherchen und äusserst spannenden Charaktere. Ist dein «Fokus Krimi» mit dem letzten Charkow-Band «Allmacht» abgeschlossen oder hast du eine Fortsetzung geplant?
Im Moment plane ich keine Fortsetzung, da mir die Zeit fehlt. Für das Schreiben eines Romans von über 400 Seiten benötige ich rund drei bis vier Monate. Da sind Konzept, Recherche und Lektorat nicht eingerechnet. Die steht mir leider nicht zur Verfügung. Aber ich arbeite zurzeit mit zwei Autorenkollegen an neuen Geschichten.

Woran arbeitest du konkret? Und wie muss ich mir eine Zusammenarbeit im Schreiben vorstellen?
Im Moment arbeite ich mit dem Autor Thomas Kowa an einer Filmkomödie und einer Psychothriller- Trilogie. Dieses Jahr wird aller Voraussicht nach der erste Roman einer humorvollen Kriminalroman- Serie, die ich mit dem Autor Daniel Badraun entwickelt habe, fertig werden. Wenn alles klappt, wird die Geschichte nächstes Jahr im Buchhandel erscheinen. Die Zusammenarbeit ist schnell erzählt: wir entwickeln gemeinsam die Geschichte, jeder ist für einen Teil der Protagonisten verantwortlich – sozusagen der Anwalt der Figur (wie redet und handelt diese). Dann teilt man die Kapitel oder Szenen auf und jeder schreibt erst einmal für sich. Natürlich gibt es während der Schreibphase regen Austausch. Zu zweit findet man schneller Lösungen, produziert schneller Geschichten und es macht einfach mehr Spass, als alleine zu arbeiten.

Du lebst in Sigriswil, bist jedoch seit Jahren auch in der Lorraine «zu Hause», was deine Arbeit betrifft. Wenn du einen Roman mit der Lorraine in Bezug bringen würdest, wie lautete dessen Titel und welches Genre würde er bedienen?
Die Lorraine ist ein alternatives und lebendiges Quartier, dass sehr viel Kreativität und Einzigartigkeit ausstrahlt. Im Gegensatz dazu steht eine zunehmende Gentrifizierung, die meiner Meinung nach die «Biosphäre Lorraine» zu ersticken droht. Ein lebendiges Miteinander sollte im Vordergrund stehen anstatt die Einzelinteressen von Investoren. Titel: «Herbsteis». Genre: fiktive Biografie eines alten Ladenbesitzers, der die Entfremdung seines Lorraine-Quartiers in sich selbst wahrnimmt.

Mehr Infos unter:


Persönlich

Marcus Richmann wuchs in Deutschland (Bochum, NRW) und im Berner Oberland auf. Nach der Wirtschaftsmatur begann er ein Studium an der HSG. Rund zwanzig Jahre arbeitete Marcus als Unternehmensberater und Autor (Romane und Drehbücher). Immer mehr hinterfragte er seine Arbeit, suchte nach Wegen, um Menschen länger zu begleiten, Bewusstsein zu schaffen. Dies führte ihn in die Systemische Therapie und in die Imaginationsarbeit.


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